Das Paradies liegt in der Schillerstraße Die Bodenmosaiken im Schwetzinger Künstlerhaus von Otto Eberhardt Wer das Künstlerhaus von Otto Eberhardt betritt, befindet sich auf Anhieb im Paradies! Spielende und poussierende Äffchen, zwei Pfauen mit farbprächtig-schillerndem Gefieder, ein Truthahn und weiteres Federvieh hat sich unter weit ausladendem Ast- und Blattwerk versammelt, um Gäste zu empfangen. Mit den Bodenmosaiken des Eingangsbereichs und zweier Räume seines Hauses in der Schwetzinger Schillerstraße 23 hat der Künstler ein Kleinod geschaffen, das nicht von Ungefähr die Nähe zur Gestaltung italienischer Palazzi und Villen herstellt, wie sie in der Antike und Renaissance von wohlhabenden Hauseigentümern erdacht und von renommierten Künstlern realisiert wurden. Hier jedoch sind Auftraggeber und ausführender Künstler eins. Otto Eberhardt scheint sich mit der musivischen Gestaltung seines 1970 bezogenen Hauses einen Traum erfüllt zu haben, dessen Inhalte am Bildprogramm der Mosaiken ablesbar werden: In eine der Zeit enthobene, friedvoll-harmonische Sphäre versetzt der Eingangsbereich seines Hauses Besucherinnen und Besucher. Buchstäblich wegweisend ist dabei das sich über den gesamten Boden im Entrée erstreckende, ebenso sinnfällige wie höchst dekorative Mosaik, das von der Bedeutung des Hauses für den vielseitig versierten Künstler erzählt und davon kündet, dass ihm das eigene Haus Garant dafür war, sich selbst sicher und geborgen und als Gast hoch willkommen zu fühlen. Auf den ersten Blick macht das arabeskenhaft angelegte Motiv deutlich, worum es ihm geht: ein Refugium für sich und seine Familie und seine umfangreiche künstlerische Arbeit zu schaffen und auf diese Weise Leben und Kunst miteinander zu verbinden. Wie mühelos hat der Künstler die große Fläche der Diele zwischen 1970 und 1973 mit eigens behauenen bunten Steinen ausgestaltet, deren Bearbeitung die handwerkliche Versiertheit eines Künstlers vor Augen führt, der in vielerlei Gattungen zu Hause war: auf dem Gebiet der Mosaikkunst wie im Medium der Zeichnung, des Aquarells, der Malerei und des Holzschnitts. Dabei hat Otto Eberhardt in der Diele seiner Phantasie freien Lauf gelassen. Der Baum des Lebens mit seinem weit ausladenden Geäst weist den Weg zu den verschiedenen Räumen und Ebenen des Hauses. Nicht von ungefähr befindet sich ein Truthahn auf dem Weg in’s Esszimmer. Lesbar als Symbol des guten Essens und der Gastlichkeit, die dem Künstler so wichtig waren, sind auch die übrigen Tiergestalten mit Bezügen zum Leben Otto Eberhardts konnotiert: Die vierköpfige Familie findet sich in den Äffchen wider, während die eitle Nachbarschaft in den stolzen Pfauen versinnbildlicht ist, die gleichzeitig auch als Symbole für Pracht und Schönheit gelten können und als Bewohner des nahe gelegenen Schwetzinger Schlossparks den kurfürstlichen Hof buchstäblich in’s Künstlerhaus holen. Dabei erinnert das Eingangsmosaik an dekorative und figurative Szenen auf Fußböden antiker Villen und Wänden frühchristlicher Kirchen. Pfauen und Hühner finden sich auch als Teil des Wandschmucks von Basiliken in Ravenna und Rom. Erscheint das Eingangsmosaik dabei als freie Paraphrase auf den Baum des Lebens, so hat Otto Eberhardt in seiner Küche mit großer Detailtreue und in mehreren, durch Flechtbandornamente miteinander verbundenen, Bildfeldern den antiken Mythos von Philemon und Baucis inszeniert – eine Erzählung, die den Wert der Gastfreundschaft und Freigebigkeit ebenso feiert, wie jenen von Treue, Friedfertigkeit und Gottergebenheit. Mit Philemon und Baucis widmet sich Eberhardt einer durch den römischen Dichter Ovid in seinen Metamorphosen überlieferten Geschichte aus der griechischen Mythologie, die nicht nur bildende Künstler*innen zu Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen inspiriert, sondern auch Literaten und Komponisten zu zahlreichen Werken angeregt hat. Johann Wolfgang von Goethe griff die Szene in seinem Drama Faust II ebenso auf wie in seinem Roman Wahlverwandtschaften. Joseph Haydn regte der Stoff zu einem Singspiel an und Charles Gounod zur gleichnamigen Oper. Otto Eberhardt wiederum übersetzt den Mythos von Philemon und Baucis in die Gegenwart der Entstehungszeit des zwischen 1984 und 1996 geschaffenen Bodenmosaiks, wenn er Göttervater Zeus (Jupiter) und seinem Götterboten Hermes (Merkur) porträtähnliche Züge seiner selbst und seines Sohnes Nikolaus verleiht. Stets war für Otto Eberhardt die klassische Literatur höchst lebendig. Seine opulenten Theaterinszenierungen am Schwetzinger Hebelgymnasium – unter anderem von Goethes Faust I und II – ebenso wie die hervorragend erhaltenen Mosaike in seinem Haus führten und führen ganz unmittelbar vor Augen, welchen Stellenwert die klassische Literatur im Denken und Schaffen des Künstlers einnahm, der auch im Medium des Wandmosaiks figurative und dekorative Szenen entwarf. Die Bildfolge des Bodenmosaiks in der Küche des Künstlerhauses beginnt mit der Darstellung der Wanderschaft des Götterpaares Zeus (Jupiter) und Hermes (Merkur), die sich auf eine exponiert gelegene Hütte zu bewegen: der Sage gemäß jene von Philemon und Baucis, einem greisen Paar, das in ärmlicher Bescheidenheit ein glücklichharmonisches Leben führt. Indem der Künstler einzelne Details betont (so beispielsweise den flügellosen Hut und den großen Wanderstab des Götterboten), kennzeichnet er Zeus (Jupiter) und Hermes (Merkur) wie in der zugrunde liegenden Erzählung als Menschen und nicht als Götter – und damit so, wie sie in der Folge zunächst auch Philemon und Baucis erscheinen werden. Dass das einsame Haus größer als das Dorf zur Linken angelegt ist, in dem das Götterpaar der Legende nach vergeblich um Asyl gesucht hat, verdeutlicht die Bedeutung der Hütte für die weitere Erzählung. Das anschließende quadratische Bildfeld, das mit dem ersten Feld durch ein Flechtbandornament verknüpft ist, zeigt die beiden Wanderer zu Gast in der Hütte und macht im Vergleich mit der Ovid’schen Erzählung deutlich, wie eng sich Eberhardt an die Überlieferung des antiken Mythos hält, wenn er selbst jene Scherbe rot akzentuiert ins Bild setzt, mit der Baucis einem wackeligen dreibeinigen Tisch – Sinnbild der Armut des Paares – Stabilität verleiht. Der Gegensatz zwischen dem lagernden, ruhenden Besucherpaar und der dynamisch agierenden Gastgeberin führt auf einen Blick die Gastfreundschaft Baucis’ vor Augen, die zudem unterstrichen wird durch ein das Bildfeld flankierendes Gemüsestillleben links und ein Früchtestillleben rechts. Dabei basiert die Bilderzählung auf real Gesehenem und eigens Erlebten. Die archaisch anmutende, blaugrüne Schale des Früchtestilllebens wurde vom Künstler auch im Alltag benutzt und befindet sich, wenngleich ohne die im Mosaik überbordende Fülle an Obst wie Trauben und Pfirsichen, noch heute in der Küche des Künstlerhauses. In einem ovalen Bildfeld schildert der Künstler im Anschluss an die gastliche Szene die Hauptszene der Erzählung: den Moment der Verwandlung von Philemon und Baucis in eine Eiche und eine Linde vor dem Hintergrund eines eindrucksvollen Tempels mit Säulenportikus und Dreiecksgiebel. Der Szene in einem quadratischen Bildfeld beigeordnet findet sich zur Linken das Rencontre aller vier Protagonisten in jenem Moment, da Philemon und Baucis ihre einzige Gans dem – angesichts des sich nie leerenden Weinkrugs von den Gastgebern als himmlische Gäste erkannten – Besucherpaar opfern wollen. Treten in der literarischen Vorlage Jupiter und Merkur gemeinsam in Aktion, „wehrten dem Eifer der beiden Alten und sprachen mild lächelnden Mundes also: ‚Wir sind Götter!“ , so übernimmt in Eberhardts Mosaik er selbst die 1 intervenierende Rolle und gebietet der Opferbereitschaft der Alten mit beschwichtigendem Gestus Einhalt. Zwei weitere flankierende Bildfelder zeigen die gefüllten Becher samt Weinkrug links und das zur Zubereitung des Mahls entfachte Feuer. Erinnert die gesamte Bildfolge in seiner teppichartigen Anlage an ein Flächenornament, so gestaltet der Künstler einzelne Szenen als eigenständige Bilder und setzt dabei Motive und Momente buchstäblich „leibhaftig“ in Szene. So verleiht ein höchst lebendiges Licht- und Schattenspiel Figuren und Gegenständen Plastizität und selbst in der Maserung des Stammes der Eiche, in die sich Philemon schließlich Zit. nach: Gustav Schwab: Sagen des Klassischen Altertums, 3. Teil, Frankfurt a. M. (Insel) 1975, 1 S. S. 944. verwandelt, spiegelt sich das Naturvorbild, das der Künstler offenkundig sehr genau studiert hat. Indem Otto Eberhardt die Metamorphose des Paares und die bereits in einen Tempel verwandelte Hütte zentral in Szene setzt, prägt er der von ihm geschilderten Szene seinen eigenen künstlerischen Stempel auf. So schenkt er mit der drohenden Opferung der Gans durch die Gastgeber als dem Wendepunkt der Geschichte und damit jener Szene, die von bedeutenden Malern des 17. Jahrhunderts wie Peter Paul Rubens, Jacob Jordaens oder Rembrandt van Rijn als in erster Linie bildwürdig erachtet wurde, zwar bedeutendes Augenmerk, setzt sie jedoch an den Rand und ordnet sie dem Hauptmotiv der Verwandlung unter. Dies gilt auch für jenes rechteckige Bildfeld rechter Hand, das Philemon und Baucis in Hütte und Garten als freigebige und treuherzige Gastgeber zeigt. Während Baucis im Garten Kohl erntet, holt Philemon, der Sage gemäß, den geräucherten Schweinsrücken von der rußigen Decke. Es ist die Gastfreundschaft die dazu führt, dass Philemon und Baucis ihre beiden Herzenswünsche erfüllt werden: den Göttern zu dienen und – als Signum ihrer Unzertrennlichkeit und Treue – gemeinsam zu sterben. Die anschließenden Bildfelder zeigen die lediglich durch Taucher und Fischreiher bevölkerte, menschenleere Sumpflandschaft, entstanden durch jene Überschwemmung, die durch die Engherzigkeit, Härte und Selbstsucht der Dorfbewohner, die den Himmlischen kein Obdach und keinen Einlass in ihre Häuser gewährten, hervorgerufen wurde. Das folgende Bogenfeld zeigt die vollständig in Eiche und Linde verwandelten Philemon und Baucis mit ihrem ineinander verwobenen Ast- und Blattwerk, der Erzählung gemäß von einer niedrigen Mauer umgeben und mit Kränzen behängt. Ist dies die Eingangssequenz der Sage, so schildert der Künstler die Szene als Abschlussbild. Zentral ist seiner Auffassung zufolge der Augenblick der Metamorphose, die er als Emblem gestaltet. Das Motiv der Transformation von Philemon und Baucis wird zum Signum der Gunst der Götter: Die ärmliche Hütte verwandelt sich in einen Tempel, die Menschen werden zu untrennbar ineinander verschlungenen Bäumen. Angesichts des zentralen Bildovals hört man buchstäblich den letzten Satz bei Ovid: „Fromme sind den Göttern wert; Ehre wird denen zuteil, die Ehre erweisen.“2 Wenn Otto Eberhardt zentrale Ereignisse der klassischen Erzählung herausgreift und die mythologische Geschichte mit real Gesehenem und eigens Erlebtem verdichtet, so basieren die Mosaiken nicht nur auf Studien von menschlichen Porträts oder Gegenständen, sondern auch auf Landschaftsstudien. Vorbereitend fertigte der Künstler Zit. nach: Gustav Schwab: Sagen des Klassischen Altertums, 3. Teil, Frankfurt a. M. (Insel) 1975, 2 S. S. 945. zahlreiche Fotografien an – unter anderem in Indien. Die Kleinteiligkeit der mythologischen Szenen verlangte dabei eine andere Technik als das Bodenmosaik der Diele. Während das große Mosaik im Eingangsbereich von Hand entstand und ausschließlich mit Schlagund Brechwerkzeugen ausgeführt wurde, ermöglichte der Einsatz einer Steinsäge in der Küche eine Vielzahl an feinen und spitzen Zuschnitten der Tesserae. Wie akribisch der Künstler arbeitete, wird auch angesichts der aquarellierten Vorstudien deutlich, in denen Eberhardt maßstabs- und detailgenau die zentralen Szenen vorbereitet hat. Dass die Technik des Mosaiks dem Künstler als besonders adäquat für persönliche Motive erschienen sein muss, legt auch der Grabstein nahe, den Otto Eberhardt für seine Eltern auf dem Schwetzinger Friedhof entwarf sowie das mosaizierte Kruzifix eines Christus mit Dornenkrone, das sich noch heute im Künstlerhaus befindet. Mit der musivischen Ausgestaltung seines Künstlerhauses hat Otto Eberhardt seinem 1970 bezogenen Refugium in der Schwetzinger Schillerstraße 23 Seltenheitswert verliehen. Zwar findet man in Deutschland und Europa eine Vielzahl an museal aufbereiteten und genutzten Künstlerhäusern, jedoch existieren kaum Nachweise über eigens hierfür geschaffenen Bodenschmuck. Mit dem Wunsch, seine Wohn- und Arbeitsstätte künstlerisch auszugestalten, steht Eberhardt darüber hinaus in einer Tradition, die beispielsweise den impressionistischen Maler Max Slevogt dazu brachte, sein Künstlerhaus auf dem südpfälzischen Hofgut Neukastel in den 1920er Jahren mit Wandmalereien zu versehen, die noch heute im dortigen Musiksaal und der Bibliothek erhalten sind. Die gewissermaßen universale Vorliebe beider Künstler für bildende Kunst, Literatur, Theater und Musik erlaubt es, eine gedankliche Brücke zwischen Otto Eberhardt und Max Slevogt zu schlagen, welcher sich zudem in einem aquarellierten Entwurf für den Deckenplafond eines Gutshauses in Neukladow an der Havel ebenfalls selbst als Zeus darstellte. Für beide Künstler verwoben sich die Inhalte der von ihnen höchst geschätzten klassischen Literatur und der antiken Mythen mit ihrer eigenen Lebens- und Erfahrungswelt. Weniges ist im deutschen und europäischen Raum Arbeiten wie diesen an die Seite zu stellen. Die Wichtigkeit des Erhalts und Schutzes der Schwetzinger Bodenmosaiken im Künstlerhaus von Otto Eberhardt wird vor diesem Hintergrund besonders deutlich.
Miriam-Esther Owesle